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Härteklausel findet auch bei fristloser Kündigung Anwendung; § 543 Abs. 1 Satz 2 BGB; Art 2 Abs. 2 GG
BGH Karlsruhe, AZ: VIII ZR 73/16, 09.11.2016
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§ 543 Abs. 1 Satz 2 BGB verlangt eine Abwägung der beiderseitigen Interessen der Mietvertragsparteien und eine Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles; hierzu gehören auch etwaige Härtegründe auf Seiten des Mieters (Bestätigung des Senatsurteils vom 8. Dezember 2004 – VIII ZR 218/03, NZM 2005, 300 unter II 3; hier: Besorgnis einer ernsthaften Verschlechterung des Gesundheitszustands einer 97-jährigen, bettlägerigen Mieterin infolge eines erzwungenen Wechsels der bisherigen häuslichen Umgebung und Pflegesituation).

Bei drohenden schwerwiegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen oder Lebensgefahr sind die Gerichte im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gehalten, ihre Entscheidung auch verfassungsrechtlich auf eine tragfähige Grundlage zu stellen und diesen Gefahren bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen hinreichend Rechnung zu tragen. Das kann bei der Gesamtabwägung nach § 543 Abs. 1 Satz 2 BGB zur Folge haben – was vom Gericht im Einzelfall zu prüfen ist –, dass ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung wegen besonders schwerwiegender persönlicher Härtegründe auf Seiten des Mieters trotz seiner erheblichen Pflichtverletzung nicht vorliegt (im Anschluss an Senatsurteil vom 8. Dezember 2004 – VIII ZR 218/03, NZM 2005, 300 unter II 4).

Zwar findet die sogenannte Sozialklausel (§§ 574, 574a BGB), die in Härtefällen eine Fortsetzung des Mietverhältnisses – gegebenenfalls auch zu im Urteil festzusetzenden Bedingungen (§ 574a Abs. 2 BGB) – ermöglicht, gegenüber einer fristlosen Kündigung keine Anwendung (§ 574 Abs. 1 Satz 2 BGB. Das heißt aber – selbstverständlich – nicht, dass Härtegründe bei der Gesamtabwägung einer nach der Generalklausel des § 543 Abs. 1 BGB erklärten Kündigung außer Betracht zu bleiben hätten oder ausschließlich im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen wären.
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Dieses Urteil wurde eingestellt von RA Frank Dohrmann, Bottrop
Keywords: 97-jährige Vermieterin Rechtsanwalt Frank DOhrmann Treu und Glauben rechtsmissbrauch