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Doppelte Änderung der BGH-Rechtsprechung: Rechtsanwalt darf der BGH-Rechtsprechung nicht mehr vertrauen - Förmlichkeiten der Mieterhöhung sind materiells Recht; §§ 558, 558a, 588b BGB
BGH Karlsruhe, AZ: VIII ZR 355/18, 29.04.2020
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Die Voraussetzungen für eine Rückübertragung auf das Kollegium gemäß § 526 Abs. 2 ZPO liegen nicht schon dann vor, wenn der Einzelrichter die Sache, anders als das Kollegium, für rechtsgrundsätzlich hält. Vielmehr ist eine Vorlage an das Kollegium zwecks Entscheidung über die (erneute) Übernahme gemäß § 526 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO nur veranlasst, wenn die abweichende Beurteilung des Einzelrichters auf einer - nach der Übertragung auf ihn eingetretenen - wesentlichen Änderung der Prozesslage beruht.

Das Nachschieben einer Verfahrensrüge ist nicht etwa deshalb zulässig, weil der Senat erstmals in einem Hinweisbeschluss darauf hingewiesen hat, dass er infolge der oben aufgezeigten Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung zu der Annahme einer unbeschränkten Revisionszulassung neige. Die Möglichkeit einer Rechtsprechungsänderung muss der Rechtsanwalt stets in Betracht ziehen und dementsprechend bei der Abfassung seiner Revisionsbegründung berücksichtigen.

Die Einhaltung der Förmlichkeiten des Verfahrens auf Zustimmung zu einer Mieterhöhung durch den Vermieter nach § 558a BGB (Erklärung und Begründung des Erhöhungsverlangens in Textform) und nach § 558b Abs. 2 BGB (Fristen zur Erhebung der Zustimmungsklage) ist insgesamt dem materiellen Recht zuzuordnen und betrifft deshalb die Begründetheit und nicht die Zulässigkeit der Klage (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung; vgl. zuletzt Senatsurteile vom 11. Juli 2018 - VIII ZR 136/17, NJW 2018, 2792 Rn. 12 und vom 13. November 2013 - VIII ZR 413/12, NJW 2014, 1173 Rn. 13; jeweils mwN).

Nach diesen Grundsätzen sind die in § 558b Abs. 2 BGB (früher § 2 Abs. 3 Satz 1 MHG) normierten Fristen für die Erhebung der Zustimmungsklage durch den Vermieter dem materiellen Recht zuzuordnen; die Nichteinhaltung dieser Fristen führt somit zur Abweisung der Klage als (derzeit) unbegründet und nicht als unzulässig.

Hinsicht ausreichende Begründung im Sinne von § 558a Abs. 1 BGB liege im Fall der Bezugnahme auf einen Mietspiegel nur bei (objektiv) zutreffender Einordnung in eines der Mietspiegelfelder vor (Senatsurteil vom 12. November 2003 - VIII ZR 52/03), dahingehend geändert, dass insoweit die Angabe des nach Auffassung des Vermieters einschlägigen Mietspiegelfelds genüge

Der Berliner Mietspiegel (hier: 2015) kann zur Begründung eines Mieterhöhungsverlangens (§ 558a BGB) auch für minderausgestattete Wohnungen (hier: ohne Innen-WC) herangezogen werden.

§ 3 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (MietenWoG Bln) vom 11. Februar 2020 ist nach seinem Sinn und Zweck dahin auszulegen, dass von dem darin geregelten Verbot (jedenfalls) gerichtliche Mieterhöhungsverfahren nicht erfasst sind, in denen der Vermieter einen Anspruch auf Erhöhung der Miete zu einem vor dem in dieser Bestimmung festgelegten Stichtag (18. Juni 2019) liegenden Zeitpunkt verfolgt.

Eine vom Mieter im Einvernehmen mit dem Vermieter und auf eigene Kosten angeschaffte Einrichtung bleibt bei der Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete grundsätzlich und auf Dauer unberücksichtigt. Denn sie ist nicht Teil der dem Mieter vom Vermieter zur Verfügung gestellten Einrichtung und auf sie erstreckt sich die gesetzliche Gebrauchsgewährungs- und Instandhaltungspflicht des Vermieters nicht.

Es ist unerheblich, wenn die Mietparteien etwa zehn Jahre nach Einbau des Bades mit (Innen-)WC einen neuen Mietvertrag unterzeichnet haben, in dem diese Wohnung als mit Bad und Toilette ausgestattet beschrieben ist. Dadurch ist die von dem Mieter eingebrachte Einrichtung nicht zu einer vom Vermieter zur Verfügung gestellten Ausstattung geworden.
Der 8. Senat ist für seine wankelmütige Rechtsprechung berüchtigt. Diesmal hat es ausnahmsweise den Mieter getroffen, als Mieterhöhungsverlangen nunmehr nach materiellem Recht zu beurteilen sind und dabei der Vermieter sich auch auf einen Mietspiegel berufen darf, der die Einordnung der betreffenden Wohnung gar nicht vorsieht.

Noch überraschender ist aber die Feststellung des Senates, dass sich die Parteien und Rechtsanwälte nicht mehr auf die gefestigte BGH-Rechtsprechung verlassen dürfen und jederzeit davon ausgehen müssen, dass der BGH seine Rechtsauffassung ändert. Eine eventuelle Änderung der Rechtsprechung müssen die Rechtsanwälte bereits in ihren Schriftsätzen berücksichtigen, auch wenn sie diese gar nicht kennen.

Der 3. und 9. Senat (BGH III ZR 558/16 und BGH IX ZR 142/14) verlangen dagegen von den Rechtsanwälten, dass diese sich an der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu orientieren haben.

Das BVerfG (BVerfG 2 B 97/09) verlangt, dass auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht damit rechnen muss, dass ein Gericht ohne Hinweis in einer für den Ausgang des Verfahrens entscheidenden Frage von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht.

Aber was kümmert´s den 8. Senat. Deren Mitglieder schweben in ihrem eigenen Universum.
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Dieses Urteil wurde eingestellt von RA Frank Dohrmann, Bottrop
Keywords: Rechtsanwalt Frank Dohrmann Bottrop