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Gewährung von Leistungen für Unterkunft im einstweiligen Rechtsschutz auch schon vor Erhebung der Räumungsklage durchsetzbar; Art. 19 Abs. 4 GG; § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG
BVerfG Karlsruhe, AZ: 1 BvR 1910/12, 01.08.2017
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Sozialgerichte dürfen in einstweiligen Rechtsschutzverfahren über die Eilbedürftigkeit von Leistungen für Unterkunft und Heizung nicht schematisch darauf abstellen, ob schon eine Räumungsklage erhoben worden ist. Vielmehr müssen sie prüfen, welche negativen Folgen finanzieller, sozialer, gesundheitlicher oder sonstiger Art dem Antragsteller im konkreten Einzelfall drohen.

Die Fachgerichte sind gehalten, vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, wenn Antragstellenden sonst eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in ihren Rechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, es sei denn, dass ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen.

Je schwerer die sich aus der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes ergebenden Belastungen wiegen und je geringer die Wahrscheinlichkeit ist, dass sie im Falle des Obsiegens in der Hauptsache rückgängig gemacht werden können, umso weniger darf das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend gemachten Rechtspositionen zurückgestellt werden.

Entsprechend haben die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit in Verfahren des Eilrechtsschutzes zu den Kosten der Unterkunft auch unter Berücksichtigung der Zielsetzung des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu prüfen, welche negativen Folgen im konkreten Einzelfall drohen.

Relevante Nachteile können nicht nur in einer Wohnungs- beziehungsweise Obdachlosigkeit liegen. Dazu gehört es, den gewählten Wohnraum in einem bestehenden sozialen Umfeld nach Möglichkeit zu erhalten. Daher ist bei der Prüfung, ob ein Anordnungsgrund für den Eilrechtsschutz vorliegt, im Rahmen der wertenden Betrachtung zu berücksichtigen, welche negativen Folgen finanzieller, sozialer, gesundheitlicher oder sonstiger Art ein Verlust gerade der konkreten Wohnung für die Betroffenen hätte.

Insbesondere kann nach Rechtshängigkeit der Räumungsklage nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass der Verlust der Wohnung noch sicher abgewendet werden kann. Wird der rückständige Mietzins innerhalb von zwei Monaten nach Rechtshängigkeit der Räumungsklage nachgezahlt, wird zwar die außerordentliche Kündigung des Mietverhältnisses nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB unwirksam. Doch hat dies auf die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung keine Auswirkungen.
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Dieses Urteil wurde eingestellt von RA Frank Dohrmann, Bottrop
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