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Jahresabrechnung angefochten - Trotzdem kein Anspruch auf Erstattung der Abrechnungsspitze gem. §§ 28 WEG; 812 BGB
BGH Karlsruhe, AZ: V ZR 178/19, 10.07.2020
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1. Steht fest, dass die zu vollstreckenden Forderungen vollständig erfüllt sind, kann die Herausgabe des Titels auch ohne Durchführung einer Vollstreckungsabwehrklage verlangt werden.

2. Wird die Verteilung einer einzelnen Position in den Einzelabrechnungen für ungültig erklärt, könnte sich ein Bereicherungsausgleich von vornherein nur auf die Abrechnungsspitze beziehen.

3. Ein auf die Abrechnungsspitze bezogener Bereicherungsanspruch scheidet aber schon deshalb aus, weil die fehlerhafte Verteilung der Kosten für eine Einzelposition auf diese Weise nicht behoben werden kann.

4. Zunächst fließt in die Abrechnungsspitze nicht nur die Einzelposition ein. Da die Jahresabrechnung der Anpassung der laufend zu erbringenden Vorschüsse an die tatsächlichen Kosten dient, sind als Einnahmen die mit dem Wirtschaftsplan beschlossenen und weiterhin gemäß § 28 Abs. 2 WEG geschuldeten (Soll-)Vorauszahlungen anzusetzen.

5. Ein Anspruch nach § 812 BGB hätte nicht nur im Verhältnis zu dem Anfechtungskläger, sondern im Verhältnis zu allen Wohnungseigentümern stattzufinden. Die Wohnungseigentümergemeinschaft müsste folgerichtig alle negativen Abrechnungsspitzen erstatten und könnte ihrerseits ausgekehrte Guthaben zurückfordern.

6. Folge wäre eine "Fülle von Einzelkondiktionen", die aber nichts daran ändern könnte, dass es an der zutreffenden Verteilung der Kosten der für ungültig erklärten Einzelposition fehlt. Behoben werden muss das Problem deshalb da, wo es entstanden ist, nämlich im Wege einer fehlerfreien Abrechnung über die gerichtlich beanstandete Einzelposition.

7. Die auf die Einzelposition bezogene interne Kostenverteilung lässt sich nur durch eine korrigierte Jahresabrechnung ändern. Die Kosten für die Einzelpositionen müssen fehlerfrei verteilt werden, indem der darauf bezogene unselbständige Rechnungsposten verändert und die Abrechnungsspitze unter Einbeziehung der (Soll-)Vorauszahlungen sowie der bestandskräftigen Ausgabenpositionen neu errechnet wird.

8. Weil es nur um die interne Verteilung einer feststehenden, bereits aufgewendeten Summe geht, stehen dem notwendigerweise Nachforderungen gegen andere Wohnungseigentümer gegenüber. Aus Sicht der Eigentümergemeinschaft ist die geänderte Kostenverteilung (abgesehen von Zahlungsausfällen) daher kostenneutral. Der Einwand des Berufungsgerichts, die bestandskräftige Jahresabrechnung des Folgejahres enthalte regelmäßig jene Zahlungen, die auf die später für ungültig erklärte Jahresabrechnung geleistet worden seien, ist zwar richtig (vgl. Senat, Urteil vom 11. Oktober 2013 - V ZR 271/12, ZWE 2014, 36 Rn. 10), führt aber nicht zu einem anderen Ergebnis. Da solche Zahlungen nicht verteilt werden, gehören sie ohnehin nicht in die Einzelabrechnungen des Zahlungsjahres.

9. Korrigiert werden muss ggf. die Gesamtabrechnung, sodann müssen die daraus abgeleiteten unselbständigen Rechnungsposten in den Einzelabrechnungen zum Zwecke des Innenausgleichs verteilt werden, und unter Einbeziehung der (Soll-)Vorauszahlungen ergibt sich daraus die neue Berechnung der Abrechnungsspitze, die mit den auf die fehlerhaft ermittelten Abrechnungsspitzen geleisteten Zahlungen bzw. Erstattungen verrechnet werden muss. Umsetzen lässt sich dies nur durch eine Abrechnung gemäß § 28 Abs. 3 WEG, die individuelle Bereicherungsansprüche ausschließt.

10. Aus demselben Grund muss sich eine Beschlussanfechtungsklage zwingend gegen alle Einzelabrechnungen (und nicht nur gegen die des Anfechtungsklägers) richten (vgl. Senat, Urteil vom 3. Juni 2016 - V ZR 166/15, NZM 2017, 77 Rn. 7; Urteil vom 15. November 2019 - V ZR 9/19, NZM 2020, 469 Rn. 5).

11. Weil die Forderungen einzelner Wohnungseigentümer nicht aus dem auf alle Einheiten bezogenen Abrechnungssystem herausgelöst werden können, gilt dieser "Vorrang der Jahresabrechnung" auch dann, wenn zwischen der Zahlung und der erneuten Beschlussfassung ein Eigentumswechsel stattfindet. Mögliche Konsequenzen laufender Beschlussanfechtungsverfahren müssen bei einer Veräußerung ggf. vertraglich geregelt werden.

12. Nur ausnahmsweise können direkte Rückforderungsansprüche anzuerkennen sein, nämlich bei Überzahlungen wie versehentlichen Doppelzahlungen. Solche Randprobleme geben aber keinen Anlass dazu, ein bewährtes System in Zweifel zu ziehen.

13. Ein Wohnungseigentümer kann eine veränderte Abrechnung mit einem für ihn günstigeren Ergebnis nur erreichen, wenn er zuvor dafür sorgt, dass die für fehlerhaft gehaltene Abrechnung nicht bestandskräftig wird, folglich eine neue Abrechnung über die Jahresabrechnung und die Beschlussfassung hierüber verlangen.

14. Diese kann ggf. mit der Beschlussersetzungsklage (§ 21 Abs. 8 WEG) durchgesetzt werden.

15. Wird ein Beschluss, der Beitragspflichten der Wohnungseigentümer im Sinne von § 16 Abs. 2 WEG begründet, rechtskräftig für ungültig erklärt, tritt diese Wirkung zwar insofern ex tunc ein, als feststeht, dass die Beschlussfassung nicht ordnungsmäßiger Verwaltung entsprach; der Schuldgrund und damit der Verzug des säumigen Wohnungseigentümers entfällt aber erst durch den Eintritt der Rechtskraft des Urteils, mit dem der Beschlussanfechtungsklage stattgegeben wird, so dass bis dahin entstandene Verzugsschäden weiterhin ersetzt werden müssen.

16. Eine erfolgreiche Beschlussanfechtung wirkt insofern (notwendigerweise) auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung zurück, als unter den Wohnungseigentümern als Folge der Rechtskraft feststeht, dass der Beschluss nicht ordnungsmäßiger Verwaltung entsprach. Gleichwohl besteht der Schuldgrund in der Zwischenzeit fort, und der eingetretene Verzug entfällt nicht rückwirkend.

17. Jedenfalls soweit es sich um Beschlüsse handelt, die Beitragspflichten der Wohnungseigentümer im Sinne von § 16 Abs. 2 WEG begründen, ergibt sich dies aus der in § 16 Abs. 2 WEG verankerten Finanzausstattungspflicht der Wohnungseigentümer. Ein Beschluss über die Jahresabrechnung hinsichtlich der (negativen) Abrechnungsspitze begründet die Zahlungspflicht des Wohnungseigentümers gemäß § 23 Abs. 4 Satz 2 WEG auch während eines laufenden Beschlussanfechtungsverfahrens, und eine Aussetzung der Zahlungsklage gemäß § 148 ZPO kommt nicht in Betracht.

18. Führte die erfolgreiche Anfechtung eines Beschlusses über die Jahresabrechnung oder den Wirtschaftsplan im Nachhinein dazu, dass die Beitragspflicht von Anfang an entfiele, würde durch die Einleitung eines erfolgversprechenden Beschlussanfechtungsverfahrens für alle Wohnungseigentümer ein Anreiz gesetzt, die Zahlung zurückzuhalten; die säumigen Wohnungseigentümer stünden sich sanktionslos besser als diejenigen, die die ihnen obliegenden Pflichten erfüllen und die beschlossenen Zahlungen leisten.
Der BGH macht nunmehr kehrt von der zwischenzeitlichen Rechtsprechung zur Erstattung gezahlter Hausgeldkosten nach erfolgter Anfechtungsfechtungsklage gem. § 812 BGB.

Es bleibt daher bei der bisherigen Rechtsprechung vor der WEG-Reform.

Leider hat sich der BGH zu zwei Fragen nicht geäußert.

1. Offen bleibt, wann die Ansprüche aus der Jahresabrechnung, aber auch auf Erstellung einer neuen Jahresabrechnung verjähren. Nach dieser Entscheidung deutet der BGH die Verjährungsproblematik mit keinem Wort an. Unterstellt man dem BGH einmal, das Problem der Verjährung nicht übersehen zu haben, lässt sich daraus nur schließen, dass es für den BGH kein Problem gibt. Zumindest die dreijährige Verjährungsfrist will der BGH wohl nicht anwenden. Behilft sich der BGH mit einer fehlenden Fälligkeit oder mit einer Hemmung? Man weiss es nicht.

2. Das zweite Problem ist die Frage, ob im Falle einer nichtigen Jahresabrechnung die vorgenannten Grundsätze ebenfalls gelten oder ob der BGH diesen Fall wieder anders beurteilt. Nach der bisherigen Rechtsprechung - auch des BGH - dürften die hier aufgestellten Grundsätze nicht gelten. Genaues weiss man aber auch insoweit nicht.
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Dieses Urteil wurde eingestellt von RA Frank Dohrmann, Bottrop
Keywords: Jahresabrechnung ungerechtfertigte Bereicherung Rechtsanwalt Frank Dohrmann Bottrop Anfechtungsklage Beschlussanfechtung